Fragen von Andrea Köhler-Ludescher zum 100. Geburtstag von Paul Watzlawick:

1. Frage von Andrea Köhler-Ludescher: Wie hat Dich die Arbeit von Paul Watzlawick beeinflusst? Was ist aus Deiner Sicht ihre Bedeutung?

Als ich 22 Jahre alt war, lag ich im sommerlichen Garten meiner Eltern bei Genf, auf einem Liegestuhl und las voller Faszination das Buch „Menschliche Kommunikation“ von Watzlawick et al.. Ich hatte das Fach Philosophie mit einer Zwischenprüfungsarbeit über den „Tractatus Logico Philosophicus“ von Wittgenstein „abgeschlossen“ und studierte inzwischen Psychologie. Watzlawick wie auch Wittgenstein begeisterten und inspirierten mich durch ihre klare, schnörkellose Art zu denken. Einige Jahre später, erfuhr ich, mehr durch einen Zufall, dass es tatsächlich einen Ort gibt, an welchem diese Ideen therapeutisch umgesetzt werden: Das Mental Research Institut (MRI) in Palo Alto (USA). Von diesem Moment an wuchs in mir der Wunsch dorthin zu gehen und zu lernen. Ich zog nach meinem Psychologiediplom nach San Francisco, studierte dort zwei Semester im Bereich Paar-und Familientherapie und knüpfte parallel erste Kontakte zum MRI über ein Praktikum. Auch hier half der Zufall weiter: Barbara Anger-Diaz, eine Mitarbeiterin von Paul Watzlawick lud mich in das Brief Therapy Center ein. Ich blieb für zweieinhalb Jahre. Das MRI mit seinen lebhaften Diskussionen und Besuchern aus aller Welt war weitaus spannender als die Seminare an der Uni. Ich beobachtete, lernte und diskutierte meine Ideen mit dem Brief Therapy Team, welches damals aus Paul Watzlawick, Richard Fisch, Karin Schlanger und Barbara Anger-Diaz bestand. 1998 wurde ich zum Research Associate des MRI ernannt und etablierte dort mein eigenes Forschungsprojekt. In diesem „Chronic Pain Project“ entstand EAI Brief Therapy, eine Weiterentwicklung des Brief Therapy Models von Watzlawick, Weakland und Fisch. Diese erste Version bildet die Grundlage für das heutige Ask!-Modell, sowie für meine Arbeit und Lehre.

Warum hat mich das Palo Alto Modell in meiner therapeutischen und beraterischen Arbeit so sehr geprägt? Das Brief Therapy Model, bzw. Palo Alto Model ist besonders. Seine besondere Bedeutung liegt darin, dass es ein Metamodell darstellt, welches ohne inhaltliche psychologische Annahmen auskommt. Dadurch ist dieses Modell zum einen vielseitig anwendbar, von der Therapie, über das Coaching bis hin zur Organisationsberatung, zum anderen aber auch zeitlos. Das von Watzlawick, Weakland und Fisch beschriebene Konzept der Veränderung zweiter Ordnung ist meiner Ansicht nach der Kern jeglicher Veränderungsarbeit.

2. Frage von Andrea Köhler-Ludescher: Wo/inwiefern siehst Du die Relevanz von Watzlawicks Werk und Wirken heute (für Individuen, Organisationen, Gesellschaft) bzw. wo liegen aus Deiner Sicht heute die Schwerpunkte? Was ist neu?

Die Relevanz von Paul Watzlawicks Werk und Wirken ist für mich heute genauso gegeben wie zu seinen Lebzeiten. Zum einen sind die Inhalte nicht an die Zeit ihrer Entstehung gebunden, zum anderen hatte Paul aber auch die Begabung diese Inhalte auf eine Art und Weise zu vermitteln, die anschlussfähig war und noch ist. Ein Klassiker. Ohne Paul wären diese Ideen, die u.a. aus der Zusammenarbeit mit Gregory Bateson entstanden, vermutlich nicht für so viele Menschen nützlich geworden. Die zirkuläre Verknüpfung von Problem und versuchter Lösung sowie das Konzept der Veränderung zweiter Ordnung stellen eine Perspektive dar, die es ermöglicht die Komplexität von Zusammenhängen auf eine Art zu reduzieren, dass effektives und gezieltes Arbeiten möglich wird, ohne diese Zusammenhänge zu banalisieren. Dies ist für das Arbeiten mit Einzelnen, Paaren, Teams und Organisationen enorm hilfreich.

Leider ist die Arbeit Watzlawicks und des Brief Therapy Teams heute in den Hintergrund getreten. Andere Ansätze und Ideen wurden modern und das Brief Therapy Model wird wenig gelehrt, in Deutschland so gut wie gar nicht. Als ich aus den USA zurück nach Deutschland kam stieß ich in Diskussionen mit Kolleg*innen oft auf das Urteil, dass das Brief Therapy Model zu „interventionistisch“ sei. Das kann man sicherlich so betrachten, wenn man möchte, warum aber das Kind mit dem Badewasser auskippen? Die Identifizierung und Unterbrechung der zirkulären Verknüpfung von Problem und versuchter Lösung, des „Teufelskreises“, klingt simpel, ist aber
in der Umsetzung höchst anspruchsvoll. Ob man diese Musterunterbrechung nun à la Palo Alto mit gezielten Interventionen, wie z.B. der paradoxen Intervention vornimmt oder auf eine andere Art und Weise, z.B. durch innere Bilder wie im Ask!-Modell, ist Geschmackssache. Das Palo Alto Modell auf die Art der Musterunterbrechung zu reduzieren und deshalb kritisch bei Seite zu legen wird diesem Ansatz nicht gerecht.

Natürlich kann auch das Palo Alto Modell weiter entwickelt werden. Dass dies bereits geschehen ist, ist ein gutes Zeichen. Es zeigt, dass dieses „Meta-Modell“ eine äußerst fruchtbare Grundlage ist und dadurch viele Möglichkeiten bietet. Genauso wie man einen guten Lehrer an der Unterschiedlichkeit seiner Schüler erkennt, erkennt man ein gutes Modell an der Vielfalt seiner Nachfolger*innen. Das ist es, was ich auch dem Palo Alto Modell wünsche.

ZUR AUTORIN: Dr. Ilka R. Hoffmann-Bisinger, Diplom-Psychologin, leitet das iska-berlin (www.iska-berlin.de) und ist dort als systemische Ausbilderin, Supervisorin, Therapeutin, Beraterin und Coach tätig. Als anerkannte Lehrtherapeutin, Lehrsupervisorin und Lehrende Coach der Systemischen Gesellschaft (SG) bildet sie auch an anderen systemischen Instituten im In- und Ausland aus. Außerdem ist sie Lehrbeauftragte an den Universitäten in Frankfurt a.M., Mainz und Mannheim. Ilka Hoffmann-Bisinger hat ihren Ansatz der Analogen Systemischen Kurztherapie, das Ask!- Modell®, am Mental Research Institute (MRI) in Palo Alto (USA) entwickelt und dort einige Jahre im Team von Paul Watzlawick und Richard Fisch mitgearbeitet. Im Rahmen ihres Forschungsprojektes wurde sie zum Research Associate des MRI ernannt. Für diese Arbeit erhielt Ilka Hoffmann-Bisinger in 2007 den Forschungspreis der Systemischen Gesellschaft (SG). Sie ist Autorin des Buches “Changing Perspective – Changing Solutions. Activating Internal Images for Change in Systemic Brief Therapy“ (2007, Heidelberg: Carl-Auer Verlag).

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