Persönliche Begegnungen, Erfahrungen und Reminiszenzen

Die ehrenvolle Einladung seitens der Großnichte Frau Dr. Köhler-Ludescher anlässlich des 100. Geburtstages von Paul Watzlawick, über meine zahlreichen Begegnungen mit ihrem Großonkel zu berichten, habe ich gerne angenommen, weil sich meine Wege mit seinen, sei es in Österreich oder den USA, oft kreuzten und ich ihn wegen seiner humanistischen und kosmopolitischen Grundhaltung sehr schätze, ja bewundere.

Am MRI in Palo Alto bei San Francisco

Während meines längeren Aufenthaltes wegen eines gemeinsamen Projektes bei Prof. David Krus (Arizona State University) 1986 in Phoenix rief mich Paul Watzlawick aus Palo Alto (dem Sitz der MRI, Mental Research Institut) an und lud mich zum dem von ihm – gemeinsam mit Heinz von Förster und Fritz B. Simon geleiteten 14 tägigen Postgraduate-Lehrgang (Klinisches Weiterbildungstraining „Family and Brief Therapy“ an der Stanford State Universität – ein. Diese Einladung nahm ich mit Begeisterung an, weil Ich die Literatur von Paul Watzlawick schon gut kannte und daraus sehr wertvolle Anregungen für meine Tätigkeit als Lehrbeauftragter an der Universität Wien (Institut für Anthropologie) und Seminarleiter auf dem Gebiete der Persönlichkeits- und Organisationsentwicklung in Österreich bzw. Ausland entnahm.

Zertifikat des Mental Research Institute vom 29.7.1987

Viele dort von der Palo Alto Gruppe erforschten und präsentierten Ergebnisse deckten sich mit meinen Erfahrungen am Jugendamt als ehemaligen Jugendamtspsychologen bei der Stadt Wien (1070 – 1972). Die am Jugendamt zu begutachtenden Kinder und Jugendlichen mussten demnach immer im sozialen und interkommunikativen Kontext mit der Familie, der Schule und übrigen sozialen Umwelt beurteilt werden. In der Praxis lernte ich auch die divergierenden „Urteile“ der im Erziehungsprozess beteiligten Personen (Mutter, Vater, übrige Familienmitglieder, Lehrer, Behörden) kennen, die oft sehr unterschiedlich, ja gegensätzlich sein konnten. Die Studie „Wie wirklich ist die Wirklichkeit“ war für mich ein „Aha-Erlebnis“.

Verleihung des Paracelsus Rings

Im Zuge meiner späteren Vorlesungs- bzw. Seminartätigkeiten in Kärnten und wohl meines Zweitwohnsitzes in Villach wurde ich 1987 von der Paracelsus-Gesellschaft in Villach (durch den damaligen Sekretär Mag.-Dir. Dr. Bruno Kathollnig) eingeladen, die für mich selbst sehr ehrenvolle Laudatio für Paul Watzlawick anlässlich der Überreichung des Paracelsusrings, der höchsten Villacher Auszeichnung an ihn, zu halten. Das war für mich selbst ein großartiges, unvergessliches und aufregendes Erlebnis!

Paul Watzlawick und Helmut Manzenreiter

Die Ringverleihung nahm, in Anwesenheit zahlreicher in- und ausländischer Gäste, im vollbesetzten Paracelsussaal der Stadt Villach. Bürgermeister Helmut Manzenreiter vor. Nach der Verleihung des Paracelsusrings und der Ehrenurkunde hielt Paul Watzlawick einen Festvortrag zum Thema „Die unsichtbaren Krankheiten“, in diesem er eine Beziehung zu Paracelsus (der in Villach ebenso seine Jugend verbrachte) stellte. Demnach sah Paracelsus in geistigen Störungen nicht mehr die Besessenheit und stellte so zweifellos den Beginn einer Theologie befreiten Psychologie, ohne moralische oder religiöse Vorurteile, dar.

Da häufig Persönlichkeiten der Wissenschaft und Kunst übersehen werden, die im Ausland leben, wie Helmut Zilk einmal feststellte, war das ein Beweggrund für mich, Paul Watzlawick für eine entsprechende Ehrung durch die Stadt Wien vorzuschlagen, was letztlich auch vom Erfolg gekrönt war. Paul Watzlawick erhielt im Jahre 1990 das „Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien“.

Mich verband mit Paul Watzlawick immer die Bewunderung seines umfangreichen philosophischen, psychotherapeutischen und kommunikations-psychologischen Werkes, seiner umfangreichen Publikationen, seiner zahlreichen Vorträge und seine internationale Anerkennung in der „Alten und Neuen Welt“. Besondere Sympathie empfand ich auch aufgrund der gemeinsamen Wurzeln im alten Österreich-Ungarn, zu dem wir uns beide stolz bekannten. Seine Wurzeln lagen in Böhmen und Italien, meine dagegen in Böhmen und Ungarn. Er bekannte sich immer zu seiner Herkunft, sein Vater hat – im Gegensatz zu einem Bruder des Vaters – den Namen Watzlawick immer behalten.

Gemeinsames Interesse verband mich mit Paul Watzlawick die Lektüre bzw. das Studium der Russischen Literatur, vor allem Fjodor Michaelowitsch Dostojewski (1821 – 1881) und Lew Nikoleowitsch Tolstoi (1828 -1910). Bekanntlich graduierte Watzlawick an der Universität Venedig mit dem Schwerpunkt „Lingua e Letteratura Russa“ und diplomierte am C. G. Jung-Institut in Zürich zum Thema „Dostojewski und die Freiheit“. Bei mir selbst hat die russische Literatur einen großen Einfluss darauf gehabt, mich für das Studium der Psychologie, Anthropologe und Philosophie an der Universität Wien zu entscheiden.

Es war für mich immer eine Freude, Paul Watzlawick anlässlich seiner jährlichen Vorträge in Wien oder Villach, wo er regelmäßig seine Schwester Maria besuchte, zu begegnen. Da ich um seine patriotische Beziehung zu Österreich wusste, konnte ich es mir nicht verkneifen, ihn einmal zu fragen, warum er nicht wieder lieber nach Österreich käme. Seine orakelhafte Antwort war, in Kalifornien gäbe es ein besseres Wetter als in Österreich und er zwinkerte mit den Augen. Damals wusste ich noch nicht um seine betrübliche Erfahrung aus der Nazi-Zeit, wegen seiner österreichisch-patriotischen und antifaschistischen Haltung. In der hervorragenden Biografie von Andrea Köhler-Ludescher erfuhr ich dazu erhellende Hintergrundgeschehnisse.

Einfluss auf meine Arbeit

Zweifellos hat die Arbeit von Paul Watzlawick auf mich als Psychologen bzw. Psychotherapeuten Einfluss ausgeübt und zwar als eine wertvolle Ergänzung meiner Ausbildungen in Verhaltenstherapie (bei Prof. Niels Bierbaumer), die non-direktive, personenzentrierte Gesprächspsychotherapie (bei Prof. ReinhardTausch) und auch in der Psychoanalyse (bei Prof. Lambert Bolterauer und Prof. Wilhelm Solms-Rödelheim). Dabei gehe ich konform mit Reinhard Tausch (1921 – 2013), der in diesem Zusammenhang vom Mehrwert des multimodalen Ansatzes spricht, der vielversprechender sei als die Einengung auf eine einzelne Therapieschule. Außerdem hat er an der Univ. Hamburg empirisch nachgewiesen, dass die Auswahl eines Therapeuten durch den Klienten/Patienten aufgrund von gezeigten Videoaufzeichnungen der Arbeitsweise der zur Auswahl stehenden Therapeuten nachweislich bessere Erfolge zeitigt.

Es ist der radikale Konstruktivismus, der die (erlebbare) Wirklichkeit als das Ergebnis von Kommunikation und sozialer Interaktion erklärt und in allen psychotherapeutischen Konzepten implizit oder explizit eine Rolle spielt (kein philosophischer Idealismus aber!). Hubert Rohracher spricht in diesem Sinne von der subjektiven Erlebniswelt. Demnach ist es die Kernaufgabe des Therapeuten, die interaktiven und systemischen Prozesse des Klienten/Patienten aufzudecken. Als empathischer, non-direktiver und dialogischer Humanistischer Psychologe widerspricht die Methode des „Verhaltenverschreibens“ aus der „Brief Therapy“, meinem Verständnis, obwohl sie in ausgewählten Diagnosen durch ihre suggestive Therapiemethode erfolgreich sein kann. Ich praktiziere daher keine Kurztherapie mittels „Verhaltenverschreibens“. In der Erziehungsberatung, aber wie ich sie seinerzeit bei der Erziehungsberatung am Jugendamt praktizierte (1970 – 1972), kannten wir diese Form des pädagogischen-psychologischen Einflußes wohl, obwohl wir es damals noch nicht so nannten. Insbesondere als wir den  Eltern oder minderjährigen Jugendlichen klare Verhaltensdirektiven erteilen mußten. 

Das Konzept des Konstruktivismus spielt in der Gruppenpsychotherapie und der Gruppendynamik, die ich als Therapeut bzw. Trainer viele Jahre praktizierte, eine bestimmende Rolle, wenn es darum geht, die Genese des Gruppenbewusstseins aufzuhellen. Das Gruppenbewusstsein ist demnach das Ergebnis der Kommunikation und sozialen Interaktion und somit konstruierte Wirklichkeit. Gestaltpsychologisch heißt es zurecht: „Die Gruppe ist mehr als die Summe ihrer Teile“. Für die beiden Klassiker der Psychologie David Krech (1909 – 1977) und Richard S. Crutchfield (1912 – 1977) ist streng genommen jede Psychologie auch Sozialpsychologie.

Abschließend

Der international anerkannte Pädagoge und Kreativitätsforscher Prof. Dr. Frederick Mayer (1921 – 2008), ein langjähriger Freund, stellte die Frage, „wie kann die Sozialpsychologie zur Gesellschaftsreform echt beitragen, ein Fundament für den sozialen Fortschritt werden, und wie können Konflikte ohne Gewalt gelöst werden, wie Konfliktfähigkeit als Voraussetzung für Friedensfähigkeit erlangt werden“.

Das Werk von Paul Watzlawick ist dazu eine attraktive Antwort. Es wird auch in der Zukunft eine bedeutende Rolle zur Klärung sozialpsychologischer und gruppendynamischer Prozesse, Phänomene und Konflikte beitragen.  

Die Persönlichkeit und das Leben von Paul Watzlawick als Wissenschaftler, Humanist, Weltbürger und Patriot gereicht auch in Zukunft zum Vorbild!

Verwendete Literatur:

Karl BÜHLER, Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache.
Gustav Fischer, Stuttgart 1982 (Erstauflage Jena 1934)

Heiner KEUPP, „Von der Re-Sozialisierung von Normalität und Abweichung: eine persönliche Rückschau auf das biopsychosoziale Modell“, In: ZSG, Jg. 40, 2, S. 3 – 18., Wien 2015

Andrea KÖHLER-LUDESCHER, „Paul Watzlawick – Die Biographie“, Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern 2014

Paul WATZLAWICK, Janet H. BEAVIN, Don D. JACKSON„Menschliche Kommunikation; Formen, Störungen Paradoxien“ 11. Auflage, Verlag Hans Huber, Bern 2017

Rudolf O. ZUCHA, „Laudatio anläßlich der Verleihung des Paracelsus-Rings an Paul Watzlawick am 24. 9. 1987 in Villach“, In: ZSG, Jg. 12, 2, S. 38 – 43, Wien 1987

Ders.: „Wirksame und gestörte Kommunikation; Die ´pragmatische ´ Kommunikationstheorie von Paul Watzlawick“, In: Führungsstärke in der Praxis – Leadership, Organisation und Kultur“, 2. Auflage, WUV-Universitätsverlag 2001, S. 73 f.

Ders.: Paul Watzlawick (1921 – 2007) – in Memoriam zum 10. Todestag, In: ZSG, Jg. 42, 1, S. 46 – 47, Wien 2017

Rudolf O. ZUCHA (Hg.) „Krise und Chance der Psychologie- Beiträge der Bühler-Symposien“,Wieser Wissenschaft, Klagenfurt/Celovec 2012

ZSG = Zeitschrift für Sozialpsychologie und Gruppendynamik

ZUM VERFASSER: Prof. Dr. phil. Dr. h.c. Rudolf O. Zucha ist Psychologe, Psychotherapeut, ein Großneffe des Schriftstellers Jaroslav Hašek und lebt in Wien und Villach. Er ist Herausgeber der ZSG = Zeitschrift für Sozialpsychologie und Gruppendynamik

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