Zur Unvermeidbarkeit von Kommunikation

Von Roland Burkart (Mai 2020)

Paul Watzlawicks Denken begleitet mich seit den frühen 1970er Jahren, als ich Publizistik- und Kommunikationswissenschaft zu studieren begann. Was mich mit ihm verbindet, das trennt mich zugleich auch ein Stück weit von ihm: der Begriff Kommunikation.

Angelpunkt ist sein erstes Axiom: Man kann nicht nicht kommunizieren. In Gegenwart eines Anderen wird alles Verhalten zur Kommunikation. Weil wir uns immer irgendwie verhalten (Verhalten hat kein Gegenteil, man kann sich nicht nicht verhalten), gilt auch Kommunikation als unvermeidbar. Wer versucht, das Unvermeidbare zu vermeiden, der gerät gemäß Watzlawick’scher Diagnose in ein schizophrenes Dilemma: Er will jede Mitteilung vermeiden und zugleich verneinen, dass sein Verneinen selbst eine Mitteilung ist.

Das Problem

Mein eigenes Dilemma als Publizistikwissenschaftler entsteht nun aus einer Diskrepanz zwischen der Plausibilität dieses Axioms und der Schwierigkeit, mit diesem Begriff öffentliche Kommunikation zu analysieren. Denn solche Analysen sind vielfach von bestimmten Ansprüchen an die Qualität von Kommunikation geleitet. Im Kern geht es dabei um die Frage, ob und inwieweit es sich um situations- und zielgruppenadäquat aufbereitete Mitteilungen handelt, die Kommunikatoren und Rezipienten tatsächlich miteinander teilen (können). Dieses Zustandekommen von Verständigung ist mit Blick auf die Funktionen des Journalismus und der Medien, für Politik, Wirtschaft und Kultur in demokratisch organisierten Gesellschaften von höchster Relevanz.

Genau genommen beginnt mein Dilemma mit diesem ersten Axiom bereits in der präkommunikativen Phase, d.h. unmittelbar vor Beginn der eigentlichen Kommunikation, deren Qualität ich dann beobachten will.

Stellen wir uns z.B. Frau X vor, die das Fernsehen einschaltet, um die Abendnachrichten zu verfolgen. Die News-Sendung, verhallt jedoch im Raum, während sie das Abendessen vorbereitet und auch noch den Anruf eines Freundes entgegennimmt. Was der Nachrichtensprecher sagt, findet kein Gehör bei ihr, die Reportage über eine Demonstration und die Debattenausschnitte im Parlament dazu nimmt sie ebenfalls nicht wahr. Obwohl sich Frau X stets in der Nähe des Bildschirms aufhält und damit Teil eines (potenziellen) Publikum ist, verkommt das gesendete Informationsangebot zur Geräuschkulisse, denn Frau X rezipiert die kommunizierten Inhalte nicht. Der Nachrichtensprecher kann ihr seine Botschaften nicht wirklich mitteilen.

Aber verhält es sich nicht ganz ähnlich z.B. bei einem Studenten, der in der Vorlesung schläft? Er vermittelt mir als Vortragendem zwar den Eindruck, nicht bereit oder nicht in der Lage zu sein, meine Aussagen zu empfangen. Möglicherweise wirkt er mit seinem nonverbalen Verhalten sogar als Störfaktor für mich und die anderen Hörer. Vielleicht teilt er mir und den anderen Anwesenden sogar unbewusst mit, dass er den Vortrag nicht interessant findet, oder dass seine Aufmerksamkeit nach einer schlaflosen Nacht erschöpft ist – aber ich selbst kann ihm keine Botschaft vermitteln. Was immer ich sage nimmt er nicht auf, ich kann das, was ich den Hörern meiner Vorlesung mitteile, mit ihm – dem schlafenden Studenten – nicht teilen.

Für beide Situationen (die öffentliche und die interpersonale) gilt somit: Allein die Gegenwart von Anderen – also die schlichte Tatsache, dass sich Frau X im Empfangsbereich des laufenden Fernsehprogramms befindet oder dass der Student während einer Vorlesung im Hörsaal anwesend ist – bedeutet noch nicht, dass die kommunizierten Inhalte auch miteinander geteilt werden (können), also Verständigung zustande kommt. Im Klartext: Einer Mitteilungs-Handlung (seitens des Vortragenden) muss eine Verstehens-Handlung (seitens der Rezipienten) entsprechen. Die Existenz von Anderen erscheint somit als eine notwendige aber keine hinreichende Bedingung für Verständigung via Kommunikation.

Die (scheinbare) Problemlösung

Damit ist klar: Es geht um verschiedene Kommunikationsbegriffe, weil es sich um unterschiedliche Erkenntnisobjekte und verschiedene Erkenntnisinteressen handelt: Watzlawick fokussiert pathogene Kommunikationsstrukturen aus der Perspektive der Psychopathologie, während die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft öffentliche und auch zwischenmenschliche Kommunikationsstrukturen aus einer verständigungsorientierten Perspektive in den Blick nimmt.

Für Vertreter nominaldefinitorischer Verfahren ist das kein Problem. Watzlawick hat mir übrigens in einem persönlichen Gespräch (Ende der 1970er Jahre in Wien) attestiert, dass für unser Fach sein erstes Axiom wohl obsolet sein würde.

Ein Gegenbeispiel – mit Folgen

Wenn es nicht längst ein Gegenbeispiel (hier: aus der Unternehmenskommunikation) gäbe: So kann der Schornstein einer Müllverbrennungsanlage kommunikativen (Mitteilungs-)Charakter gewinnen, wenn Personen z.B. den deutlich sichtbar austretenden, womöglich auch noch schmutzig-grau anmutenden Rauch als eine (ungewollte) Mitteilung des Unternehmens interpretieren, die Filteranlage nicht angemessen gewartet zu haben.

Nebenbei: Die Farbe des Rauchs aus solchen Anlagen ist in der Regel mehr vom Feuchtigkeitsgehalt der Atmosphäre und weniger vom Zustand der jeweiligen Filter beeinflusst.

Wohlgemerkt: Wenn die Betreiber der Verbrennungsanlage ihre Arbeit verrichten, dann beseitigen sie Müll, aber in Gegenwart anderer Personen, die den austretenden Rauch wahrnehmen, gewinnt dieses Handeln (auch!) kommunikativen Charakter. Das Unternehmen ist in einer solchen Situation förmlich gezwungen, in diesen Kommunikationsprozess einzutreten. Es muss auf Beschwerden oder Anfragen reagieren, andernfalls gerät es in ein PR-Problem mit eventuell sogar existenzbedrohendem Potenzial.

Und da ist es wieder, mein Dilemma mit der Brauchbarkeit des ersten Axioms für die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Mein Fazit lautet: Es kommt eben auf das jeweilige Erkenntnisinteresse an…

Und was Paul Watzlawick betrifft: Man wird ihn und sein Werk auch in Zukunft – und auch in der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft – nicht nicht zur Kenntnis nehmen können.

ZUM AUTOR: Prof. Dr. Roland Burkart ist ein österreichischer Kommunikationswissenschaftler. Er lehrt seit 1997 als Professor am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien, ist Autor mehrerer Bücher; und fotografiert gerne.

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