Change – Psychotherapie vor, mit und nach Watzlawick

Meine letzten Schuljahre waren von der Auseinandersetzung mit den Impulsen der 1968er Studentenrevolution geprägt. Mein Studium der Psychologie, Philosophie und Pädagogik wurde nach einem Semester durch meinen Zivildienst unterbrochen, den ich im Hinblick auf meinen Berufswunsch „Psychotherapeut“ in einem psychiatrischen Krankenhaus absolvierte. In diesen in vielerlei Hinsicht aufwühlenden und verunsichernden Jahren war meine Lektüre weitgehend von psychoanalytischen Konzepten durchsetzt und geprägt. Psychoanalyse war in jener Zeit sehr populär. Die Bücher des gesellschaftspolitisch engagierten Psychoanalytikers Horst Eberhard Richters („Eltern, Kind und Neurose“ „Patient Familie“ „Lernziel Solidarität“ u. a.) waren Bestseller, die auch ich eifrig studierte. Und natürlich hatte ich mit großer Begeisterung die wichtigsten Freud´schen Werke verschlungen.  Psychoanalytisches Denken war damals überwiegend positiv besetzt und galt trotz seiner rückwärts auf die Vergangenheit gewandten Orientierung als der Inbegriff des Progressiven und Befreienden. Psychoanalytische Konzepte waren ein obligatorisches Ingredienz kritischer Gesellschaftstheorien, mit denen ich mich damals intensiv beschäftigte. Wenn Ärzte oder Psychologen von „Psychotherapie“ sprachen, identifizierten sie diese häufig mit psychoanalytischer Therapie. Andere Therapieformen galten als etwas, was sich beispielsweise „nur mit Verhalten“ oder „nur oberflächlich mit den Symptomen“ beschäftige und zwangsläufig zu Symptomverschiebungen führen müsse. Symptomverschiebungen wurden wiederum selbstverständlich als schlecht und nicht als gute Schritte in Richtung Besserung angesehen. 

In diese Welt schlug am Ende meiner Schulzeit und zu Beginn meines Studiums das Buch „Menschliche Kommunikation – Formen, Störungen, Paradoxien“ von P. Watzlawick / J. H. Beavin / D.D. Jackson wie eine Bombe ein. Ihre Sicht auf menschliche Beziehungen und psychiatrische Diagnosen als etwas, das sich durch die Beschreibung der Regeln und Strukturen der aktuellen Kommunikation sehr sinnvoll verstehen ließ, elektrisierte mich. Diese neuen Vorstellungen, Theorien, Begriffe und Axiome kamen mir revolutionär vor und faszinierten mich. Die psychotherapeutischen Fallbeispiele, die Analyse der Interaktion von Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolfe“ und die Einbettung in philosophische Konzepte relativierten meine vornehmlich psychoanalytisch geprägten Vorstellungen.

Als ich dann die von Paul Watzlawick zusammen mit John H. Weakland und Richard Fisch verfassten „Lösungen“ lesen konnte, die explizit als Beiträge zur „Theorie und Praxis des menschlichen Wandels“ geschrieben waren, sog ich dieses Buch und die darin entwickelten Gedanken auf wie ein Schwamm. Erstmals hörte ich auch von der „Uncommon Therapy“ Milton H. Ericksons. Das folgende Buch, „Die Möglichkeit des Andersseins“, beschäftigt sich dann explizit mit der „Technik der therapeutischen Kommunikation“. Es enthielt zahlreiche Fallbeispiele Milton Ericksons und war für mich, der ich meine therapeutischen kommunikativen Fähigkeiten erweitern wollte, ein weiteres Schlüsselwerk. Vor allem war mir klar, dass ich die kommunikativen Wunderwerkzeuge dieses genialen Psychiaters aus Phoenix (kennen-)lernen wollte.

Das war mir dann mit einem ersten langen Einführungsworkshop in Erickson`´´´sche Hypnose möglich, den Jeffrey Zeig in Heinrich Breuers Primärtherapiekellerraum in Köln hielt. In der Folge war ich brennend daran interessiert, weitere Erickson´sche Ansätze der Hypnose und Psychotherapie in Workshops zu lernen, die von Schülern Ericksons gehalten wurden. Wann und wo immer ich konnte, nahm ich an solchen Workshops teil und fing schließlich selbst an, Workshops zu organisieren und zu geben. Ein Versuch, Paul Watzlawick für einen Workshop nach Hamburg zu holen, war trotz der neu entstandenen Kommunikationserleichterungen durch das Fax leider nicht erfolgreich (Briefe nach und von Amerika hatten bis dahin eine Laufzeit von 4 – 6 Wochen). 1986 gründeten Ortwin Meiss und ich das Milton H. Erickson Institut Hamburg. Seither ist die Vermittlung von Erickson´schen Ansätzen der Hypnose und Psychotherapie ein wichtiger Teil meiner Fortbildungstätigkeit. Die Weichen dazu wurden durch Paul Watzlawick gestellt. Obwohl er Erickson nur zwei Mal persönlich begegnet war, erzählte er in seinen Büchern so eindrücklich und überzeugend von Ericksons Arbeit, dass es meinen beruflichen Weg entscheidend geprägt hat.

Wenn ich Watzlawick auf Kongressen vortragen hörte, war er für mich weniger der klinisch tätige Psychotherapeut, sondern ein fesselnder Geschichtenerzähler und überzeugender Philosoph. Nachhaltig hat er mich mit seinem Vortrag auf dem „2nd Congress on Ericksonian Approches to Hypnosis and Psychotherapy“ in Phoenix beeindruckt. Auf diesem Kongress war ich von Jeffrey Zeig zum Moderator einer Vortragsschiene mit den bedeutendsten Schülern Ericksons gemacht worden. Obwohl ich die Referenten nur vorstellen und ihre Beträge einleiten musste, hatte ich vor dieser Aufgabe einen großen Respekt. Unter den von mir hoch geachteten und strahlenden Referenten fand ich mich vergleichsweise unbedeutend. Dass ich mir meiner englischen Sprachfähigkeiten nicht so sicher war – im Ohr hatte ich noch die Bemerkung meines Englischlehrers, dass meine Aussprache „so chinesisch“ klänge – vergrößerte mein Unbehagen. Voller Spannung ging ich zum Hauptvortrag von Paul Watzlawick, der mir als jemand bekannt war, der nicht nur Sprachwissenschaften studiert hatte, sondern durch jahrelange Auslandsaufenthalte in den unterschiedlichsten Sprachen zu Hause war und dem ich die Erkenntnis der Bedeutung von sprachlichen Feinheiten in der Psychotherapie verdankte. Was würde er, der zu diesem Zeitpunkt schon viele Jahre in den USA gelebt hatte, für einen sprachlich geschliffenen Vortrag halten! Vom ersten Satz der Keynote war ich völlig irritiert. Das war ja ein viel mehr deutsch – genauer gesagt – österreichisch klingendes Englisch, als ich es sprach! Lange Zeit konnte ich nicht fassen, mit welch unüberhörbar starkem Akzent er seinen Vortrag hielt und sich um eine englisch klingende Aussprache in keinster Weise kümmerte. Am Ende seines Vortrages war ich für immer von meinem krampfhaften Bemühen befreit, ein akzent- und fehlerfreies Englisch zu sprechen.

Manfred Prior, Kriftel, im Oktober 2020

ZUM AUTOR: Dr. phil. Dipl.-Psych. Manfred Prior ist nach langjähriger Tätigkeit in einem psychiatrischen Krankenhaus seit 1986 selbständig in eigener Praxis als Coach, Berater, Therapeut, Supervisor und Trainer tätig. Zusammen mit Ortwin Meiss hat er das Milton Erickson Institut Hamburg gegründet und über 10 Jahre lang geleitet. Manfred Prior hat zu Themen Erickson’scher Hypnosetherapie und moderner Kurzzeitpsychotherapie publiziert und ist Autor der „MiniMax-Interventionen“ und von „MiniMax für Lehrer“. Auch als Ausbilder ist er an dem interessiert, was leicht lernbar ist und mit dem geringsten Aufwand den größtmöglichen Erfolg bringt.

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