Heiterkeit und Wahrheit bei Watzlawick. Und der Materialismus in der Philosophie

Es gibt etwas in den Texten von Paul Watzlawick, das bei mir immer schon nicht nur Sympathie und Bewunderung hervorgerufen hat, sondern auch das Gefühl einer sehr grundlegenden philosophischen Übereinstimmung. Es ist dieser Tonfall einer erstaunlichen Heiterkeit, mit der Watzlawick seine Erkenntnisse vorträgt. Das macht seine Bücher zu einer so angenehmen und anregenden Lektüre und lässt einen fast ein wenig neidisch auf eine Zeit zurückblicken, in der Gelehrte offenbar öfter als heute mit soviel Humor und Leichtigkeit zu schreiben vermochten.

Die Heiterkeit in Watzlawicks Texten aber ist nicht alleine eine ästhetische Qualität, die als solche sicherlich entscheidend zur Beliebtheit und Verbreitung seiner Bücher beigetragen hat und dadurch dafür gesorgt hat, dass wissenschaftliche Erkenntnisse – was ja nicht so oft vorkommt – auch tatsächlich eine große Zahl jener Menschen erreicht haben, die diese Erkenntnisse bitter nötig hatten.

Watzlawicks Heiterkeit erscheint mir darüber hinaus vielmehr auch als die Durchführung eines philosophischen Programms; als ein Stück praktizierter Philosophie. Denn in diesem Stil steckt eine These. Wer so schreibt, muss davon überzeugt sein, dass Heiterkeit und Wahrheit keinen Gegensatz bilden – dass etwas also, weil es heiter ist, deshalb nicht weniger wahr sein muss; und umgekehrt, ganz im Gegensatz zum Sprichwort, dass etwas, nur weil es traurig ist, darum noch lange nicht wahr zu sein braucht.

Klarerweise ist umgekehrt auch nicht alles, was erheitert, bloß deshalb schon wahr. Aber das Entscheidende bei Watzlawick besteht darin, von der grundsätzlichen Nichtausschließung zwischen dem Heiteren und dem Wahren auszugehen. Denn damit wird einer bis in die Gegenwart wirkmächtigen Philosophie widersprochen. Diese Philosophie behauptet, dass wir grundsätzlich von zwei erstrebenswerten Dingen immer nur eines um den Preis des anderen haben könnten – also entweder die Wahrheit oder aber die Heiterkeit; entweder die Freiheit oder aber das Glück, entweder die Klugheit oder aber die Schönheit, etc. Zu dieser grundlegenden Zweiteilung gelangt diese Philosophie deshalb, weil sie die Welt abwertet. Die Welt, die wir kennen, ist in den Augen dieser Philosophie immer nur der Schatten oder das dürftige, defiziente Nachbild einer anderen, idealen. Nur dort, in der anderen, idealen Welt würden die Dinge, die hier als so notwendig unvereinbar gesetzt sind, geeint auftreten können. Bezeichnen wir diese abwertende Weltsicht als Idealismus. Dann wird klar, dass Watzlawick, schon alleine darin, dass er keine Angst um seine Klugheit hat, wenn er heiter schreibt, ein Gegner dieses Idealismus sein muss; und somit ein Verbündeter jener philosophischen Haltung, die ich in einem sehr allgemeinen, auf die Philosophie der Antike wie der Gegenwart bezogenen Sinn als Materialismus beschrieben habe.[1]

In der Gegenwart, insbesondere in jenen Jahren, die Watzlawick nicht mehr erlebt hat, begegnen uns viele aktuelle Formen der Weltabwertungsphilosophie des Idealismus. Zum Beispiel gibt es Leute, die meinen, man könne die Wahrheit ohnehin nicht erreichen und solle sich darum lieber einer unverbindlichen und beliebigen, postmodernen Spaßkultur hingeben. Andere wiederum hängen die Wahrheit so hoch, dass sie meinen, ihr nur durch ununterbrochenes Zweifeln und absichtliches Nichterreichen Genüge tun zu können – so machen es zum Beispiel jene Dekonstruktivistinnen und Dekonstruktivisten, die als Ergebnis immer auf ein Unentschieden aus sind und sich darin sogar für besonders schlau und kritisch halten, während sie sich in Wahrheit wohl eher nur über die eklatante politische Harmlosigkeit ihres Zeitvertreibs namens Dekonstruktion hinwegtäuschen. (Watzlawick hat bekanntlich über diesen philosophischen Typus in anderem Zusammenhang gespottet, als er bemerkte, es gäbe Menschen, die ihre Ziele so „bewunderungswürdig hoch“ setzten, dass sie sich eben dadurch ersparen, sie durch mühevolle Schritte jemals erreichen zu müssen.[2]) Und dann gibt es natürlich auch noch diejenigen, die sich einbilden, die Wahrheit wäre so unendlich kompliziert, dass man ihr unmöglich mit einer Leichtigkeit und Verständlichkeit im Stil des Schreibens gerecht werden könnte. Auch diese Autoren, die man in den derzeitigen Kulturwissenschaften leider nur allzu häufig antrifft, sind insofern nicht nur, ganz im Gegensatz zu Watzlawick, unbeholfene, stillose Schreiber sowie mut- und gedankenlose Zweitbenutzer bereits gedroschener Theoriephrasen; sondern eben in ihrer irrigen Annahme von der Unvereinbarkeit komplexen Denkens mit klarer und geschmeidiger Darstellung sind sie auch idealistische Abwerter der Welt.

Übrigens ist dieses grundsätzliche Abwerten der Welt, wie es der philosophische Idealismus regelmäßig vollzieht, eben durch seine Grundsätzlichkeit auch vollkommen unkritisch. Der Idealismus meint, alles Großartige und Erstrebenswerte könne in dieser, unserer schlechten Welt nur scheitern. Eine kritische Haltung dagegen sieht, wie leicht zu erkennen ist, anders aus. Denn nur wenn man davon ausgeht, dass gute, lebenswerte Verhältnisse in dieser Welt auch für alle herstellbar sind, dann kann man es den bestehenden Verhältnissen ankreiden, dass sie nicht so sind. Nur dann, wenn das Gute, Wahre und Schöne nicht als unvereinbar bestimmt und in ihrem Zusammentreffen auf eine spätere Welt verschoben sind, kann man von dieser Welt und den bestehenden Verhältnissen etwas fordern: „Gibt es ein Leben vor dem Tod?“ – das ist (in den Worten Wolf Biermanns) die Frage des philosophischen Materialismus. Diese Position lässt sich, wie ich meine, alleine schon an der eleganten Form von Watzlawicks Überlegungen ablesen.

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(aus: Robert Pfaller: Die Einbildungen. Das Zwiespältige. Die Geselligkeit. Vortrag im RadioKulturhaus aus Anlass der Verleihung des Paul Watzlawick Ehrenringes am 15. Oktober 2020. Wien: Picus, 2020, Seite 11–15)

[1] Siehe dazu Robert Pfaller: Wofür es sich zu leben lohnt. Elemente des philosophischen Materialismus. Frankfurt/M.: Fischer, 2011, Seite 60–77.

[2] Siehe Paul Watzlawick: Anleitung zum Unglücklichsein. München/Zürich: Piper, 2013, Seite 66.


ZUM AUTOR: Robert Pfaller is Professor of Philosophy and Cultural Theory at the University of Art and Industrial Design in Linz, Austria. Founding member of the Viennese psychoanalytic research group “stuzzicadenti”. 2007 he was awarded “The Missing Link” price for connecting psychoanalysis with other scientific disciplines, by Psychoanalytisches Seminar Zurich – for the German edition of his book „The Pleasure Principle in Culture: Illusions Without Owners“ („Die Illusionen der anderen. Ueber das Lustprinzip in der Kultur. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2002).

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