Fähigkeiten für eine komplexe Welt mit vielen Ungewissheiten

Die erste Begegnung mit Paul Watzlawick hatte ich als knapp 19-jährige. Zu dieser Zeit sprühte ich nicht gerade vor Freude und Übermut. Ein Jugendfreund schenkte mir ein kleines Büchlein mit einem komischen Bild. Darauf war ein tiefgebeugter Mann mit eigentümlichem Gesicht zu sehen. Mein Freund meinte augenzwinkernd, diese Anleitung zum Unglücksichsein müsste ich unbedingt einmal lesen. Was ich dann auch tat.

Wie kommt es, dass es einige wenige Geschichten schaffen, sich so in das Gedächtnis von uns einzugraben? Bis heute kann ich mich an die Geschichte des Hammers erinnern. Spreche ich mit anderen über Watzlawick, taucht bei ihnen häufig auch diese Geschichte auf. Was daran erhöht so den Erinnerungswert? Watzlawick beschreibt humorvoll die Gedankengänge eines Mannes, die sich immer weiter in seinem Gedankenkarussell zu einer Eskalation hochschrauben. Wir nehmen als LeserIn an dieser humorvoll beschriebenen Übertreibung in sicherer beobachtender Distanz teil. Der Schluss der Geschichte endet in einem Höhepunkt. Die darauf folgende Reaktion bleibt indes offen. Schmunzelnd erkennen wir an, welche Macht unsere eigenen Gedanken über unsere gelebte Realität haben. 

Etwa zwölf Jahre später arbeitete ich selbst im Bereich Kommunikation in der IT-Branche. Meine Aufgabe war es, als Trainerin Menschen in typischen IT-Rollen wie bspw. Software-Entwickler, System-Analysten, Software Architekten etc. zu helfen, ihre Kommunikationsfähigkeiten weiter zu entwickeln. Meine Zielgruppe zeichnete sich durch sachlich-technische Kommunikationspräferenzen und starkem logischen Denken aus. Ihre Stärke lag darin, Vorgänge zu abstrahieren und in Prozessen technisch abzubilden. Während ihnen die technisch-logische Kommunikation sehr lag, taten sie sich mit den für sie oft unlogischen Tönen der zwischenmenschlichen Kommunikation, insbesondere zu ihren Kunden schwer. Dies führte regelmäßig zu Missverständnissen, die sich in den Softwareprodukten niederschlugen, weil die Kunden aus ihrer Sicht einfach nicht logisch oder klar kommunizierten.

Die Herausforderung war, einer technisch-wissenschaftlich affinen Gruppe logisch und wissenschaftlich zu belegen und gleichzeitig erlebbar zu vermitteln, dass Kommunikation aus vielen unterschiedlichen Teilen besteht, die sich wechselseitig beeinflussen und auf die Schnittmenge des gemeinsamen Verständnisses auswirken. Kommunikation besteht nicht allein nur aus gesprochener oder geschriebener Sprache und diese kann nicht wie Programmiercode logisch vom Empfänger interpretiert werden. Dazu nutzte ich verschiedene Modelle und so kamen die folgenden Axiome von Watzlawick wieder ins Spiel:

Nr. 1 Man kann nicht nicht kommunizieren und

Nr. 2 Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt.

Für die Zielgruppe war es lohnenswert, ihr Handlungsrepertoire zu erweitern. Zu erleben, dass die Beziehungsebene maßgeblich die Sachebene bestimmt und dass weitere Zutaten wie Gestik, Mimik, Körperverhalten etc. dazugehören, half dabei, ihren Blick und ihre Aufmerksamkeit fluider zu gestalten. Die Erkenntnis, dass es immer eine gute Beziehungsebene braucht, um dann erfolgreich auf der logischen Sachebene gute Software entwickeln zu können, war ein Schlüsselerlebnis.

Lange Zeit hatte ich den Eindruck, dass meine Vorbilder ihre Erfolgskarriere nach einem großen detaillierten Plan abgearbeitet hätten. Beim Lesen der Biografie von Watzlawick konnte ich das allerdings widerlegen – das Gegenteil war der Fall. Er war ein Mensch, der sich in Zeiten größter Unsicherheit kleinschrittig auf sein nächstes Ziel offen hin entwickelt hat. Dabei half ihm eine besondere Stärke. Er erkannte und spürte sehr sicher, wann sich eine günstige Gelegenheit für einen interessanten Entwicklungsschritt für ihn auftat und griff entschieden zu. Das ist eine Fähigkeit, die nicht viele Menschen beherrschen. 

So ergab sich durch seine hohe Anpassungsfähigkeit sein persönlicher Werdegang und führte zu einer wunderbaren Karriere. Zudem lebte er in einer Zeit, in der es üblich war, beruflich zu kooperieren, zu innovieren und neues zu erschaffen. Seine Gabe, wertschätzend mit seinem besonderen Humor zu arbeiten, ermöglichte ihm sicherlich recht schnell den richtigen Ton zu treffen und in Beziehung zu Menschen zu gehen. Seine besonderen Fähigkeiten sind heute in der komplexen Welt mit vielen Ungewissheiten hochgradig aktuell und wichtig.

In der jetzigen Zeit, wo eine Krise sich gleich mit der nächsten überschlägt, wo der Hunger nach Plänen und Konzepten bei den Menschen besonders groß ist, möchte ich mit einem Augenzwinkern mit einem Zitat aus seinem Buch „Vom Unsinn des Sinns oder vom Sinn des Unsinns“ enden: „Ein in Meditation erfahrener Mann wurde einmal gefragt, warum er trotz seiner vielen Beschäftigungen immer so gesammelt sein könne. Er: ‚Wenn ich stehe, dann stehe ich. Wenn ich gehe, dann gehe ich. Wenn ich sitze, dann sitze ich (…)‘ Da fielen ihm die Fragesteller ins Wort und sagten: ‚Das tun wir auch. Aber was machst Du noch darüber hinaus?‘ “

ZUR AUTORIN: Claudia Schröder, kollegiale-fuehrung.de,  ist erfahrener systemischer Unternehmer- und Organisations-Coach. Als Mitgesellschafterin und Beirätin initiierte sie 2012 die Reorganisation des Unternehmens oose in ein kollegial-selbstorganisiertes Unternehmen.

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