Ein innerer Paradigmenwechsel

von Christoph Knapp

Das Werk von Paul Watzlawick hat mich schon in der Schule direkt beeinflusst. Ich hatte damals in der HTL eine Lehrerin, welche mir Watzlawick zum ersten Mal näher gebracht hat. Ein Satz ist mir sofort hängen geblieben: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Diese doppelte Verneinung ließ mich erkennen, dass alles was ich oder andere tun oder nicht tun, als Ergebnis von Kommunikation anzusehen ist. Dies war insofern neu für mich, als dass ich bis zu dieser Erkenntnis gedacht habe, alles menschliche Kommunizieren wäre aktiv und bewusst gesteuert. Ich begann dadurch, Kommunikation als mehr zu sehen als das Produkt von gesprochenen und geschrieben Worten und Körpersprache. Ich denke, dass dieser Satz zu einem inneren Paradigmenwechsel meinerseits geführt hatte und ich mich so mit Kommunikation und deren Bedeutung für unser Mensch-Sein auseinandergesetzt habe. Ein paar Jahre später las ich „Wie wirklich ist die Wirklichkeit?“ und „Vom Unsinn des Sinns“. Diese beiden Bücher zeigten mir die pragmatische Herangehensweise menschlichen Kommunikation als Mittel zur Schaffung verschiedener „Wirklichkeiten“ zu denken. Für mich war es erschreckend und befreiend zugleich zu erkennen, dass ich mir meine Wirklichkeit konstruiere, ich frei und verantwortlich für dieses Konstrukt bin. Mir wurde dadurch bewusst dass wir alle auf und in dieser Welt der Dinge und Objekte (Wirklichkeit erster Ordnung) leben, jedoch jede Person ihre eigene subjektive Sicht der Dinge (Wirklichkeit zweiter Ordnung) hat. Das bedeutet für mich, dass es nicht fruchtbar ist, über den Wahrheitsgehalt einer Wirklichkeit der zweiten Ordnung zu disputieren, da jeder Mensch die Welt individuell durch unterschiedliche Wertungen, Sinn- und Bedeutungszuschreibungen färbt. 

Diese Einsicht hat meinen Umgang mit mir und den Menschen im privaten wie beruflichen Umfeld wesentlich beeinflusst. Speziell im psychotherapeutischen Kontext versuche ich so gut ich kann, zu verstehen, wie mein Gegenüber die Welt sieht, welche Dinge bedeutend sind und welche nicht, und dies anzunehmen und anzuerkennen. Es geht mir dann nicht mehr um die Frage, welche Bedeutungszuschreibungen „besser“ oder „schlechter“, „normal“ oder „krank“ sind, sondern um die Frage, ob ein Mensch an einer (zu großen) Diskrepanz zwischen erster und zweiter Wirklichkeit leidet oder nicht. 

Ich denke, dass Paul Watzlawicks Werk in diesem Jahrhundert von mindestens ebenso hoher Relevanz ist wie zur Zeit seines Wirkens. Die enormen Möglichkeiten, welche uns durch die Digitalisierung offen-stehen, erfordern eine Rückbesinnung, dass wir nicht selbstverständlich davon ausgehen können, dass wir über dieselben Sachverhalte sprechen, bloß weil wir dieselben Worte verwenden. Eben weil jedes Individuum die Welt einfärbt und die Wirklichkeit notwendigerweise vereinfachen muss, ist es von Nöten, zwar selbstbewusst eine Meinung zu vertreten, aber nicht davon auszugehen, diese sei unwiderruflich richtig. Für mich hat Paul Watzlawick gezeigt, dass die Welt und wir in ihr immens komplex ist und wir deshalb unsere Wahrnehmung einengen müssen, um uns nicht zu verlieren. Gerade bei Themen wie Klima oder der Pandemie prallen oft gegensätzliche Meinungen aneinander. Sich auf eine Sicht der Dinge zu versteifen gibt Sicherheit und Halt und birgt gleichzeitig die Gefahr sich in Dogmatismus und Ideologien zu verfestigen, das Eigene für das einzig Wahre zu halten. Hier kommt Watzlawicks Wirken zum Tragen, das uns daran erinnern soll, dass nicht jede Person welche eine andere Sicht der Dinge hat, notwendigerweise böswillig oder verrückt ist. Vielmehr ist es wichtig, sich respektvoll und sachlich darüber auszutauschen, wie die verschiedenen Wirklichkeiten beschaffen sind, um gemeinsam an Lösungen zu arbeiten.

ZUM AUTOR: Christoph Knapp MSc. BSc., Masterstudium Organization Studies an der Universität Innsbruck, Psychotherapeut in Ausbildung (Existenzanalyse und Logotherapie), externer Lehrbeauftragter am Institut für Organisation und Lernen an der Universität Innsbruck, Softskill- und Bewerbungstrainer

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