Wie mich #PaulWatzlawick gefunden hat. Und hocken liess

Stefan M. Seydel/sms 😉

Die Türe war bereits geschlossen. “Es hat keine Sitzplätze mehr”, flüsterte der stämmige Mann in dunklem Anzug. Samt Krawatte und so. Er öffnete widerwillig einen schmalen Spalt und liess mich einschlüpfen. Paul Watzlawick stand wie überall auf der Welt, leicht gekrümmt über einem für ihn viel zu tiefen Pult und erzählte einem mitkichernden Publikum seine Geschichten. Wie er es halt eben so machte. YouTube weiss es.

Nach wenigen Minuten ging ich wieder. “Sie stören”, kommentierte der Mann. Draussen vor der Tür. – Ich weiss es.

Formen, Störungen, Paradoxien. – Lösungen.

Es sind die Lösungen, welche auch Paul Watzlawick beschäftigt haben. Und wie leicht, gerade die erfolgreichen Problemlösungen, zum Problem selbst werden. Diese Paradoxie störte nicht nur den jungen Paul. Auch er suchte nach einer nächsten #Form: Es war sehr einfach für ihn, mich zu finden.

Diese erste und einzige Begegnung nach so vielen Stunden der Geistergespräche mit Paul, machte mich wütend. Ich wusste nicht wohin mit meiner Enttäuschung. Ich war mitten im Studium zur Sozialen Arbeit. Vor über 30 Jahren also. Eben gerade einer wundervoll mystischen Welt entfallen, krachte ich gegen den Staat. Dieser Leviathan steckte mich in der allerersten mir bekannten Begegnung zuerst einmal ins Gefängnis. Weil ich aus ganzem Herzen verstanden habe, warum ich meine Feinde nicht töten, sondern lieben müssen wollen sollen können mögen lassen darf. Und so wollte ich jetzt auch nicht mehr Architekt werden und Häuser bauen für diesen speichelleckenden Mittelstand. (so?) Ich wollte, was jene ebenfalls eben gerade entdeckte geheimnisvolle – viel zu schöne Frau für mich – auch wollte: Soziale Arbeit studieren und eine andere Welt möglich machen.

Und eben zu dieser Zeit dort platzte dann auch noch dieser Paul Watzlawick in mein Leben.

Seine Axiome. Seine Suche nach Sätzen, welche einen praktischen Unterschied setzen, auf welche sich stabil bauen lässt. Natürlich wollte ich bauen. Räume verspunden. Arbeiten. Umstandslos am Sozialen, wie es diese prägenden Frauen von meinen neuen Beruf, meiner Profession, meiner Disziplin seit 500 Jahren tun.

Aber mit dieser “vermaledeiten Sprache, an der Schmutz klebt wie von Maklerhänden, die die Münzen abgegriffen haben”, ist ja bekanntlich mit allem zu rechnen. Mit dem Schlimmsten also.

Die axiomatischen Setzungen – so verlangt es Watzlawick – müssen so präzis, so eindeutig, so digital – es ärgert mich, dass ich im Jahr 2020 den Eindruck habe, ich müsste digital in Anführungszeichen setzen! Ich verweigere es (wo war ich? Ah. ja:) – die Axiome müssen so formuliert sein, als wären es in Stein gemeisselte frei erfundene Fantasien, Zahlen, als wär’s Mathematik. Bloss: Wie dann nachher mit anderen darüber reden, wenn es so scheint, als könnte ich bloss mit Sprache über Sprache mich mit anderen Menschen verständigen?

Paul und ich bearbeiten diese zwei Herausforderungen: Axiomatische Setzungen und Metakommunikation. Aber er hat halt dann irgendwann aufgehört damit. Er kannte so viele lustige, lehrreiche, aufschlussreiche Geschichten und die Menschen fanden das alles so lustig und so lehrreich und so aufschlussreich, dass er einfach aufgehört hat damit. Er guckte selbst dort gelassen zu, wie Friedemann Schulz von Thun – sich auf Paul beziehend – vier Ohren erfunden hat, um damit für ein allerletztes Mal diese Menschliche Kommunikation als Ort zu inszenieren, in welchem sich Menschen verstehen – können. Wenn diese höllischen Menschen doch bloss ein bisschen sensibler, ein bisschen aufmerksamer, ein bisschen – neudeutsch – “achtsamer” einander zuhörten. – Und natürlich Kommunikationscoaches buchen. Und natürlich Therapeuten aufsuchen. Und natürlich Mediation kaufen. Und… Ach… Kurzum: 

Es war Paul Watzlawick völlig egal, dass seine ins Gegenteil verdrehten Inhalte so rasch durchs professionell gestaltete Setting gezogen wurden, dass dabei wohlige Wärme entstand.

Nein. Das vergesse ich Paul Watzlawick nicht. Dass er mich zuerst so mühelos gefunden und dann so hart hat hocken lassen. Aber wenn ich ihn grad so anschaue: Hat er mir nicht eben gerade so typisch charmant zugelächelt?

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Notiert am Geburtstag von Paul Flora, ebenfalls Mitglied im PEN-Club Liechtenstein und am Heiligenfest für Peter und Paul, am 29. Juni 2020 in: Disentis/Mustér

ZUM AUTOR: *1965, M.A., Studium der Sozialen Arbeit in St. Gallen und Berlin. Unternehmer, Sozialarbeiter, Künstler. Seit 2020 lebt er wieder in Disentis/Mustér, mitten in den Schweizer Alpen.

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