Paul Watzlawick – das ist der Hammer!

Von Dieter Salomon

Paukenschläge! Das war mein erster Eindruck, als mir vor Jahr und Tag das Buch „Lösungen“ in die Hände fiel. Ein Ehepaar hatte schon lange keinen Sex mehr. Nun übernachteten sie außer Haus in einem Bett, das mit der Breitseite zur Wand stand. Der Mann musste, wenn er das Bett verlassen wollte, über seine Frau steigen. Das tat er, und da ist es dann passiert. Wie einfach sich doch schwerwiegende Probleme lösen lassen. Dann die Margareta Maultasch, Herzogin von Tirol im 14. Jahrhundert. Sie wurde vom Verteidiger der Burg „Hochosterwitz“ gelinkt, nachdem sie versucht hatte, die Festung durch Aushungern zu bezwingen. Statt aufzugeben, ließ er den letzten verbliebenen Ochsen schlachten, stopfte die letzte verbliebene Gerste in dessen Bauch und warf das gestopfte tote Tier über die Felswand direkt vor die Füße der Belagerer. Maultasch zog ihre Truppe ab.

Wie ungewöhnlich. Ich hatte gelernt, dass man Problemen auf den Grund gehen müsse. Ursachenforschung, das war das Credo der meisten Psychologen damals. Gute Therapeut*innen legen den Finger in die Wunde. Dort, wo es am meisten weh tut. Nur von dort aus kann Heilung gelingen. In der Therapiesitzung wurde geweint und gelitten. Katharsis nannte man das. Reinigung.

Und nun das. An die Stelle von Schmerz und Tränen tritt Heiterkeit und Humor. Statt langer Therapie-Marathons empfehlen Watzlawick und Kollegen die Suche nach Überraschungen. Und damit bin ich beim ersten Lerneffekt, den die Watzlawick-Lektüre mir beschert hat. Wir lernen nicht nur durch Wiederholungen, durch Rumination, sondern auch und besonders durch Überraschungen. Und durch paradox anmutende, dem gesunden Menschenverstand widersprechende Lösungen.

Natürlich lässt sich die Geschichte mit dem Sex nicht generalisieren. Lustlosigkeit lässt sich nicht gezielt dadurch beheben, indem man das Bett seitwärts an die Wand rückt. Und Kriege lassen sich nicht mit Tierleichen und Getreide gewinnen. Wandel durch Überraschungen geschieht durch Zufälle.

Der zweite Lerneffekt: Lösungen können selbst zu Problemen werden, wenn sich die Praxis des Gegensteuerns (mehr desselben) paradoxal auswirkt. Dieser Circulus vitiosus operiert auf der Ebene „Erster Ordnung“. Die Lösungen der problemerhaltenden Lösungsversuche: Den gewohnten Denkrahmen verlassen. Die Metaebene (Lösungen 2. Ordnung) transzendiert den gesunden Menschenverstand. 

Weitergedacht: Der Teufelskreis lässt sich nicht nur auf den „Blinden Fleck“ im Auge der Beobachterin (1. Ordnung) zurückführen. Er reproduziert sich selbst aus den Elementen, aus denen er besteht. Der sich selbst aufrechterhaltende Problem-Lösungs-Walzer ist nicht dysfunktional, sondern logisch. Er agiert evolutiv. Dieses Muster ist verdammt stabil, es lässt sich beeinflussen, wenn die assoziativ Beteiligten Irritationsprozesse einleiten. Aber auch das geht nur, wenn man bereit ist, den gewohnten Denkrahmen (im Sinne Watzlawicks) zu verlassen.

Der dritte Lerneffekt imaginiert eine „Meta-Meta-Ebene“. Es geht um Kommunikation und um einen Disput, der durch Luhmanns Systemtheorie angeregt wurde. Man kann nicht nicht kommunizieren, meint Watzlawick. Das scheint logisch, wenn Kommunikation als Verhalten gedeutet wird. Man kann sich nicht nicht verhalten. „Handeln oder Nichthandeln, Worte oder Schweigen haben alle Mitteilungscharakter“ (Menschliche Kommunikation, 1990, S. 51).

Und nun Luhmann: Er versteht Kommunikation als „Soziales System“. Nicht Menschen kommunizieren, Kommunikation kommuniziert. Es erübrigt sich die Frage, ob man kann oder nicht oder nicht nicht. Ein bisschen menschelt es aber auch bei Luhmann. Alter und Ego treten in Erscheinung. Sie stehen als soziale Positionen einer Person während der Kommunikation.

Luhmanns Putsch der Systemtheorie (Soziale Systeme) ließ das Verständnis von Kommunikation nach dem Sender/Empfänger-Modell (Watzlawick) auf den ersten Blick alt aussehen. Man stritt. Wer hat recht? Ich selbst war geneigt, die Seiten zu wechseln. Luhmann hat recht. Reicht es, von Kommunikation zu sprechen, indem man dem Verhalten einer Person Mitteilungsabsicht unterstellt? Gehören nicht mindestens zwei dazu?

Zur Aktivierung des sozialen Kontextes addiert Watzlawick den Begriff „Interaktion“. Und dann stimmt es wieder.

Das Problem mit den Seiten offenbart sich in der Praxis. „Kommunikation kommuniziert“ lässt sich in Psychotherapie, Coaching und Mediation schwer vermitteln. Da haben wir es mit realen Menschen zu tun. Hier wirken Watzlawicks Ideen, Beispiele und Vorschläge wohltuend und hilfreich. Damit kann man real etwas anfangen, daraus lassen sich Werkzeuge machen.

Aber: Wer hat nun wirklich recht? Wem soll man folgen? Wie durchschlägt man den Gordischen Knoten, wenn man mit zwei Modellen liebäugelt, die sich zueinander durch und durch inkompatibel verhalten? Es kann ja nicht zwei Wirklichkeiten geben.

Doch! Die Vorstellung, es gebe nur eine Wirklichkeitsauffassung, wird spätestens zerstreut, wenn man bei Watzlawick liest: „Wie wirklich ist die Wirklichkeit?“

Der Gordischen Knoten wird nicht nur zerschlagen, sondern aufgelöst, wenn man den Beobachter beobachtet. Luhmann hat recht, wenn man mit Luhmann beobachtet. Watzlawick hat recht, wenn man mit Watzlawick beobachtet. Die erfrischende Lösung liegt im Oszillieren zwischen den Beobachtungen. 

ZUM AUTOR: Dieter Salomon, Leiter des Systemischen Instituts Karlsruhe (SysTEM), systemiker.de; Sozial- und Verhaltenswissenschaftler, Pastoralpsychologe, Systemischer Therapeut (IGST, GSB)
Verhaltenstherapeut (DGVT), Supervisor/Coach (EASC) / Ausbilder der EASC, Mediator und Lehrmediator(DGSYM)

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